DIE HEIMATGESCHICHTE DER TREBBINER ORTSTEILE

Vom Werden und Wachsen - Archiv zur Historie

 
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Ortsschild Lüdersdorf

 

Heinrich Köhler

01.03.1899–23.12.1968


Lüdersdorfer Kindheitserinnerungen 1944 Heinrich im Kreise seiner Familie 

von Regina Köhler

 

Lüdersdorf, das ist für mich zu allererst die Erinnerung an den Geruch von Buchsbaum. 

Ich habe diese Pflanze mit ihrem ganz eigenen, durchaus strengen Geruch dort zum ersten Mal bewusst wahrgenommen. Der Buchsbaum stand im Vorgarten meiner Großeltern Heinrich und Katharina Köhler und diente dort, typisch für einen Bauerngarten, als Einfassung kleiner Blumenrabatten und Sträucher. 

Meine Großeltern wohnten in einem schönen großen Haus am Dorfanger. Mein Großvater Heinrich Köhler (Jhg. 1899) war Lehrer in Lüdersdorf. Für ihn und seine Familien hatte die Gemeinde das Schulhaus gebaut. Eingezogen sind sie 1925 – Heinrich, Katharina und ihre Tochter Ursula, geb. im Dezember 1924. Drei Jahre später wird dann Sohn Wolfgang geboren, 1929 Tochter Waltraut. 

Die Schule und das dazugehörige Wohnhaus ist von meinen Großeltern ihr Leben lang die „neue“ Schule genannt worden. 

Als sie 1923 geheiratet haben und nach Lüdersdorf gezogen sind – dort war meinem Großvater seine erste Stelle als Lehrer angeboten worden – wohnten sie zunächst in der „alten“ Schule, einem Gebäude, dessen Wohnung wenig komfortabel war wie meine Großmutter gern und ausführlich zu beschreiben wusste. 

Um das junge Paar im Dorf zu halten, beschloss die Gemeinde damals, eine neue Schule zu bauen. Modern und großzügig sollten das Gebäude und auch die neue Lehrerwohnung sein. Ein Foto davon steht noch heute auf dem inzwischen verwaisten Schreibtisch meines Vaters. Er hat sein Elternhaus geliebt – einen eher schlichten Bau, mit vielen großen Fenstern, mit Zentralheizung und einem Badezimmer, was für damalige Verhältnisse auf dem Land ein absoluter Luxus war. Wie die Küche hatte auch das Bad einen Terrazzo-Fußboden, außerdem eine große Badewanne und ein Klo mit Wasserspülung. Es gab zwei große Wohnzimmer, geteilt durch eine Flügeltür aus Glas. Eines dieser Zimmer war das so genannte Herrenzimmer. Dort standen der Schreibtisch meines Großvaters, ein gemütliches Sofa aus Plüsch, der große Bücherschrank und das Klavier. Küche und Bad gingen auf den Hof hinaus. Der duftete im Sommer nach Kamille, die sich dort breit gemacht hatte und wurde teilweise als Schulhof aber auch als Auslauf für Oma’s Hühner genutzt. 

Schön war auch der große Garten, der unmittelbar an den Hof anschloss und an der Stirnseite von der Mauer des Nachbargehöfts begrenzt war. Ich erinnere mich an ein großes, etwas dunkel wirkendes Viereck, in dem es ein Bienenhaus gab, gewaltige Brombeerhecken und ordentlich bestellte Beete. Wir waren oft in Lüdersdorf. 

Als meine Eltern, die mit uns im 5 Kilometer entfernten Wiesenhagen wohnten, noch kein Auto hatten, sind wir mit dem Rad dorthin gefahren, später im hellblauen Wartburg meines Vaters. 

Zur Familientradition gehörte es, den ersten Weihnachtsfeiertag bei den Großeltern in Lüdersdorf zu verbringen. Wir sangen „Oh Du Fröhliche“ und mein Großvater spielte dazu auf dem Klavier. Zum Mittagessen gab es Gänsebraten. Das Federvieh hatte meine Großmutter selbst herangezogen. Wir Kinder aßen zwar lieber nur Sauce und Kartoffeln, für die Erwachsenen war der Braten aber etwas ganz Besonderes. Interessant waren für uns Kinder auch die Geburtstagsfeiern meines Großvaters. Mit am Familientisch saßen damals Albert Wuthe und Otto Kalies. Nach dem Kaffee zogen sich die Männer ins Herrenzimmer zurück, tranken dort Hochprozentigen und rauchten Zigarren. Nach ein paar Gläschen wurden die Sakkos abgelegt und die breiten Hosenträger der Herren kamen zu Vorschein. Meist wurde es im Herrenzimmer dann auch etwas lauter. Noch heute sehe ich sie vor mir, die gestandenen älteren Männer, wenn ich Zigarrengeruch in die Nase kriege. Ich höre sie miteinander reden, höre sie lachen und denke an die geröteten Gesichter, die sie hatten, wenn sie zum Abendessen wieder an den reichlich gedeckten Tisch ins Wohnzimmer kamen. 

Ein Ereignis für uns war auch das Pfingstfest in Lüdersdorf. Vom Vorgarten meiner Großeltern aus konnten wir den „Pfingstochsen“ sehen, eine Strohpuppe im schwarzen Herrenanzug mit Hut auf dem Kopf. Sie hing hoch über der Straße und sollte wohl von den Reitern herunter geschlagen werden. Das ganze Dorf war auf den Beinen, alle, die irgendwie laufen konnten, wollten sich dieses Spektakel nicht entgehen lassen. Wir hatten unsere schönen Perlonkleider an, dazu weiße Kniestrümpfe und auch weiße Schuhe, standen am Straßenrand, neben den Eltern und Großeltern und bestaunten das Spektakel. 

Opa war nicht nur DER Lehrer in Lüdersdorf, sondern auch Leiter des Lüdersdorfer Männerchores. Der probte einmal die Woche im Gasthaus von Viols, das sich unmittelbar neben dem Schulgrundstück befand. Mir ist, als hätten wir sie manchmal singen gehört. An warmen Sommerabenden vielleicht, an denen die Türen des Vereinszimmers offen geblieben waren. 

 

Lehrer Heinrich Köhler mit seinen Schülern Ende 1920er/1930er JahreLehrer Heinrich Köhler mit seinen Schülern Ende 1920er/1930er Jahre

 

1936 Lüdersdorfer Schulfest links Heinrich Köhler

Lüdersdorfer Schulfest, links Heinrich Köhler (1936)

 

Kastenspringen beim Sportfest (1954)Kastenspringen beim Sportfest in Lüdersdorf (1954)

Schulfestumzug 1950er/1960er JahreSchulfestumzug 1950er/1960er Jahre

 

Heinrich Köhler mit Otto Kallies im GesprächHeinrich Köhler mit Otto Kallies im Gespräch

 1966 im Schützenhaus Heinrich Köhler leitete viele Jahre den Lüdersdorfer Männerchor1966 im Schützenhaus. Heinrich Köhler leitete viele Jahre den Lüdersdorfer Männerchor.

 

06.12.1966 Pressemeldung zur Verabschiedung von Lehrer Heinrich Köhler

06.12.1966 Pressemeldung von Albert Wuthe

zur Verabschiedung von Lehrer Heinrich Köhler

 

Als mein Großvater 1968 kurz nach Weihnachten in Lüdersdorf zu Grabe getragen wurde, hat ihm eben dieser Männerchor ein letztes „Im schönsten Wiesengrunde“ mit auf den Weg in die andere Welt gesungen. Wir Kinder waren zwar nicht dabei, doch meine Großmutter hat uns immer wieder davon erzählt. 

Lüdersdorf war meinen Großeltern zur Heimat geworden. Nicht nur wegen der „neuen“ Schule.

 

Grabstätte von Katharina und Heinrich KöhlerGrabstätte von Katharina und Heinrich Köhler

Nachruf für Lehrer Heinrich KöhlerNachruf für Lehrer Heinrich Köhler